BENEDIKT XVI. UND JESUS VON NAZARETH -
EINHEIT ODER GEGENSATZ?
Eine Rezension des neuen Papstbuches
Von Dr. theol. Lothar Gassmann
Liefert das Buch "Jesus von Nazareth" von Papst Benedikt XVI.
tatsächlich eine "missionarische Steilvorlage", wie der Gnadauer Präses
Christoph Morgner behauptet (Idea-Spektrum 17/2007, S. 26)? Ja und Nein!
Ja, insofern der Papst den Weg Jesu Christi von der Taufe im Jordan bis
zur Verklärung weitgehend zutreffend nacherzählt und als historisches
Faktum stehen lässt - im Gegensatz zu etlichen Vertretern einer
historisch-kritischen Theologie (Bibelkritik). Nein, insofern er in seiner
Methode und Darstellung doch die Ergebnisse einer (gemäßigten) Bibelkritik
voraussetzt und - wie könnte es auch anders sein - spezifisch
katholische Lehren einfügt, was ein oberflächlicher Leser gerne übersieht.
Zum Positiven gehört zweifellos, dass der Papst "den Evangelien trauen"
und "den Jesus der Evangelien als den wirklichen Jesus, als den
´historischen Jesus` im eigentlichen Sinn" darstellen will. Und doch "ist
alles das vorausgesetzt, was uns das (2. Vatikanische) Konzil und die
moderne Exegese (Auslegung) über literarische Gattungen, über
Aussageabsicht, über den gemeindlichen Kontext der Evangelien und ihr Sprechen in
diesem lebendigen Zusammenhang sagen" (S. 20).
Positiv ist zweifellos, dass der Papst mehrere "Grenzen" der
historisch-kritischen Methode aufzeigt (z.B. Verkürzung der Bibel zum bloßen
Menschenwort, Verlust ihrer inneren Einheit; S. 15 f.). Positiv ist auch,
dass er in Anknüpfung an eine "kanonische Exegese" (= die ganze Bibel
umfassende Auslegung) die "Einheit der ganzen Schrift" achten und sie
nicht in unzusammenhängende Quellen und Bruchstücke auflösen will (S. 17).
Und doch bezieht er in diese Einheit gemäß den Festlegungen des 2.
Vatikanischen Konzils zusätzlich auch die Überlieferung der Katholischen
Kirche ein (S. 17). Bezüglich seines Verhältnisses zur
historisch-kritischen Methode führt der frühere Theologieprofessor Ratzinger und jetzige
Papst aus: "Kanonische Exegese - Lesen der einzelnen Texte der Bibel in
ihrer Ganzheit - ist eine wesentliche Dimension der Auslegung, die zur
historisch-kritischen Methode nicht in Widerspruch steht, sondern sie
organisch weiterführt und zu eigentlicher Theologie werden lässt" (S.
18). Und weiter: "Ich hoffe, dass den Lesern aber deutlich wird, dass
dieses Buch nicht gegen die moderne Exegese geschrieben ist, sondern in
großer Dankbarkeit für das viele, das sie uns schenkt" (S. 22).
Wie wirkt sich dieser methodische Ansatz Benedikts in seiner konkreten
Auslegung aus? Er lehnt Auswüchse einer radikalen Bibelkritik ab (was
positiv ist), bekämpft sie allerdings mit Äußerungen aus dem Lager einer
"gemäßigten" Bibelkritik. So zitiert er mehrfach positiv Forschungen
seiner ehemaligen Tübinger Professorenkollegen, auch aus dem
evangelischen Lager (Hengel, Stuhlmacher, Gese), was für einen Papst erstaunlich
ist.
Hierzu 2 Beispiele: Gegen die Behauptung des radikalen Bibelkritikers
Rudolf Bultmann, das Johannesevangelium gehe nicht auf das Alte
Testament, sondern auf die außerbiblische Gnosis zurück, führt er den
evangelischen Tübinger Neutestamentler Martin Hengel ins Feld, der gegen
Bultmann schreibt: "In Wirklichkeit gibt es keinen in den Quellen
nachweisbaren, - chronologisch - vorchristlichen gnostischen Erlösermythos" (S.
262). Gleichzeitig übernimmt Benedikt jedoch die bibelkritische Hypothese
(Vermutung), dass die johanneischen Schriften unterschiedliche
Redaktionsschichten enthalten und teilweise nicht vom Apostel Johannes, sondern
von einer "johanneischen Schule" verfasst seien (S. 268 ff.). Als
zweites Beispiel für die Übernahme der Bibelkritik durch Benedikt sei die
von ihm zugrunde gelegte Theorie von einem uneinheitlichen Jesajabuch
genannt, indem er wie selbstverständlich von einem "Deuterojesaja" spricht
(S. 399).
Positiv ist ferner, dass Benedikt sich gegen Ideologien wie den
Feminismus, die Politische Theologie und auch den "Konziliaren Prozess für
Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" abgrenzt -
erstaunlicherweise allerdings zwei Mal unter Zuhilfenahme einer außerbiblischen
Vision des Inspirators einer "Bekenntnisökumene" zwischen konservativen
Katholiken, Evangelischen und Orthodoxen, Wladimir Solowjew (S. 64 f. u.
70 f.), auf die sich von evangelischer Seite auch Prof. Peter Beyerhaus
immer wieder beruft. Gegen den Feminismus betont Benedikt, dass "Gott
nie als Mutter bezeichnet und angeredet wird, weder im Alten noch im
Neuen Testament" (S. 174). Zur Politischen Theologie heißt es: "Denn der
Preis für die Verschmelzung von Glauben und politischer Macht besteht
zuletzt immer darin, dass der Glaube in den Dienst der Macht tritt und
sich ihren Maßstäben beugen muss" (S. 69). Und das ideologisch besetzte
Reden von "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" erweist
sich bei näherem Hinsehen "alles als utopistisches Gerede ohne realen
Inhalt ... Gott ist verschwunden, es handelt nur noch der Mensch" (S.
84).
Gleichzeitig aber huldigt der Papst selber universalen
(weltumfassenden) Einheits- Utopien bezüglich des Anspruchs der durch ihn
repräsentierten Römisch-Katholischen Kirche: "Jede eucharistische Versammlung ist
für uns Christen eine solche Stelle der Herrschaft des Friedenskönigs.
Die weltumspannende Gemeinschaft der Kirche Jesu Christi ist so ein
Vorentwurf für die ´Erde` von morgen, die ein Land des Friedens Jesu Christi
werden soll" (S. 114). "Die Menschheit kann über all ihre Zerstreuungen
hin eins werden vom wahren Hirten, vom Logos her" (S. 329).
Schießlich kommen die spezifisch katholischen Sonderlehren in dem Buch
"Jesus von Nazareth" immer wieder vor, was man einem Papst nicht
verübeln kann, was aber aus biblischer Sicht sehr problematisch ist. Als
Beispiele seien hier nur genannt: Taufwiedergeburt (S. 42 ff. 282 358),
Eucharistie (S. 285, 314 f.), Heiligenverehrung (S. 108), Papstprimat (S.
72, 344).
Zusammenfassend kann man sagen: Soweit Benedikt die Stationen des
Lebens und Lehrens Jesu (v. a. Bergpredigt, Gleichnisse) nacherzählt, findet
sich viel Positives und Biblisches. Leider aber setzt er als Katholik
und historisch-kritisch geprägter Theologe die römisch-katholischen
Lehren und bibelkritischen Methoden voraus und überwindet sie nicht
wirklich. Insofern bleibt beim Lesen ein zwiespältiger Eindruck zurück.
Gerade weil das Buch die Bibelkritik und die römisch-katholischen
Sonderlehren in wenig aufdringlicher, aber wohldosierter Weise einfließen
lässt, ist es letztlich doch nicht als "missionarische Steilvorlage" (C.
Morgner), sondern als Verführung zu werten. Die ersten Reaktionen aus
dem evangelischen und evangelikalen Lager zeigen, dass die Absicht
aufzugehen scheint, dadurch die Ökumene voranzutreiben - gerade zu dem
Zeitpunkt, als der 2. Ökumenische Europatag in Stuttgart stattfindet. Der
Papst hat sich und seiner Kirche ein "positives Image" zugelegt. Wer aber
die römisch-katholische Dogmatik kennt, weiß genau, dass Rom sich nicht
wirklich ändern kann und will, sondern dass das einzige Ziel die
"Rückkehr-Ökumene" der "getrennten Geschwister" in den Schoß der Papstkirche
bleibt (vgl. "Kleines Katholizismus-Handbuch" und "Kleines
Ökumene-Handbuch" der A.R.F.). Es ist höchste Wachsamkeit geboten.
Dr. theol. Lothar Gassmann
Am Waldsaum 39
D-75175 Pforzheim
Tel. 07231-66529
Fax 07231-4244067
Email: logass1 at t-online.de
Homepage:
www.L-Gassmann.de