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Kann ein Kind Gottes das Heil wieder verlieren?
Prof. Dr. Erich Mauerhofer
(Biographische Angaben finden sich am Ende des Artikels)
ProblemstellungEs gibt - namentlich im Neuen Testament - Bibelstellen über den Heilsstand des Wiedergeborenen, die sich bei oberflächlicher Betrachtung zu widersprechen scheinen. Ich greife zwei davon exemplarisch heraus; weiter
unten in diesem Artikel werde ich andere wichtige Stellen anführen:
Joh 10,27.28: «Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.»
Joh 15,2.6: «Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; (6:) Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen.»
Das scheinbare Problem läßt sich nur lösen, wenn man die Spannung zwischen Ermutigung und Trost einerseits und Ermahnung andererseits genau beachtet. Um zu einem sorgfältigen Abwägen zwischen Verheißung und Ermahnung bzw. dem Ruf zu erneuter Umkehr (Buße) zu gelangen, wollen wir die nötigen Grundlagenfragen kurz beleuchten:
I. Von der Heilsgewißheit zur VollendungGrundsätzliche Feststellung: Unter Heilsgewißheit verstehen wir die Gewißheit des Heilsbesitzes: Vgl. zum Beispiel:
- Röm 5,1: «Da wir nun gerecht geworden sind durch (aus) dem Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus.»
- Röm 8,16: «Der Geist selbst bezeugt (mit) unserm Geist, daß wir Kinder Gottes sind.»
- u. a. m. (Vor allem Worte, wo das «Sein» und «Haben» betont wird, z. B. Eph 1,7.)
1. Die Grundlage zum Heil bildet Gottes Heilshandeln- in Jesus Christus: Gal 4, 4.5: «Als die Zeit erfüllt war...»
- in Jesu stellvertretendem Opfer: Röm 5,8; 1 Petr 2,24; 3,18; Hebr 10,10.14
- in Jesu Auferstehung und Erhöhung: 1. Petr 1, 3.4ff.; Hebr 7,25 (Fürsprecherdienst)
- dieses Heilshandeln legt Zeugnis ab von der Liebe Gottes und vom Gehorsam Jesu Christi: Joh 3,16; Hebr 5,8.9
Die Heilsgewißheit der Gläubigen beruht auf dem göttlichen Heilsplan zu unserer Errettung (Eph 1, 3ff.) und auf der durch Jesus vollbrachten Versöhnung (Röm 5,10; 2. Kor 5,19), sowie auf dem, was wir durch den Glauben an Jesus geworden sind (Röm 8,1; 2. Kor 5,17).
2. Berufung und ErwählungMt 22,14: «Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.» Aus der Perspektive des Gleichnisses von der königlichen Hochzeit wird das Ergebnis der anderen Erwählungsstellen vorwegnehmend - deutlich, daß die
Berufung und Erwählung von Seiten Gottes durch den Menschen (in Umkehr/Buße/Bekehrung) angenommen werden muß. Wer die Berufung Gottes nicht annimmt, der gehört nicht zu den Auserwählten, und es wird ihm ergehen wie dem Mann, der ohne Hochzeitskleid vor dem König nicht bestehen kann (V. 12.13). Trotz seiner Berufung zum Himmelreich geht er verloren. Zwei der wichtigsten Erwählungsstellen finden sich in Eph 1, 3ff.
und Röm 8, 28-30. Die Erwählung läßt sich aufgrund dieser Stellen und Parallelen in folgende Bereiche aufgliedern:
Eph. 1 Römer 8 andere
Der göttliche Vorsatz und V. 3-4 V. 28 b 1. Petr. 1,20
Heilswille und "Heilsplan" vor
Grundlegung der Welt
Das Vorherwissen (praescientia) -------- V. 29a Psalm 139,16
und Vorher-Erkennen Gottes
Die Vorherbestimmung V. 5.11 V.29b.30 -----------------
(praedestinatio)
Die Selbstoffenbarung Gottes V. 7 V. 32 Gal 4, 4.5;
in Jesus Christus «in der Fülle Joh. 14,9
der Zeiten» und der
Heilsvollzug
Die Mitteilung des göttlichen V. 9 1. Tim. 2,4;
Willens 1. Thess. 4,3;
u. a. m.
Zusammengefaßt wird die Erwählung in Eph 1,11 ff.:
Eph 1,11: «In welchem wir auch zu Erben bestimmt wurden, nachdem wir
vorherbestimmt waren nach dem Ratschluß seines Willens.»
1 Dieser Vortrag wurde zusammengestellt unter dankbarer Verwendung der Dogmatik-Abschlußarbeit von Herrn Joachim Kuge zum Thema:
«Heilssicherheit oder Heilssorge / Kann ein Christ verloren gehen?», FETA Basel 1986.
3. Gottes Souveränität und die Frage der Prädestination2
a) Kurzer dogmengeschichtlicher Hinweis
Von Augustin zu Calvin3 und zu seinen Nachfolgern:
Erwählung Gottes = Erwählung einiger zum Heil. Erwählung der anderen
zur Verdammnis = doppelte Prädestinationslehre.
Diese gedankliche Konstruktion wird in keiner Weise durch die Bibel gestützt.
b) Der biblische Standpunkt
Gottes Einladung, seine Erwählung, sein Heilswille und seine Heilstat gelten grundsätzlich allen Menschen:
1. Tim 2, 4; 2. Petr 3, 9; Rom 5,18; 1. Joh 2, 2; 2. Kor 5,19; Joh 3,16; Tit 2,11.
Aus diesem Grunde gilt die verkündigte Heilsbotschaft allen Menschen ausnahmslos, wie der Missionsbefehl des Herrn deutlich macht: Mt 28,18ff.; Mk 16,15.16.
Mit Hinweis auf Mt 25, 34.41 ist die doppelte Prädestinationslehre gänzlich unhaltbar; aber auch die einfache Prädestination wird uns nirgends als Heils-Determinismus4 beschrieben.
4. Der Heils-Ratschluß oder die «Dekrete»5 GottesGottes Heilshandeln lag fest und stand bereit, bevor die Menschen erschaffen wurden («vor Grundlegung der Welt»: Eph 1, 4 und 1. Petr 1, 20). In diesen Zusammenhang gehören die Stellen, die von der Vorhersehung Gottes sprechen: 1. Petr 1, 2; Offb 13, 8; 17, 8; 20,15; 21,17. Offb 13,8 darf niemals verwechselt werden mit einem ewigen Heils-Determinismus4 für einige Auserwählte, sondern steht im Zusammenhang mit dem Vorherwissen des allwissenden Gottes (vgl. Ps 139,16 und 1 Petr 2,9.10).
Die Fragen der Prädestination2 können mit unserem kurzen Verstand nie richtig erfaßt und eingeordnet werden; wenn wir nicht die vielen Stellen über den allen Menschen geltenden Heilswillen Gottes hätten, würden wir aus dem Unvermögen, die göttliche Prädestination und des Menschen persönliche Entscheidungsfreiheit auf einen Nenner zu bringen, - genauso wie Calvin - dem Irrtum der doppelten Prädestination verfallen. Aber ein
Vergleich sämtlicher Erwählungsstellen mit den Stellen, die zur Bekehrung aufrufen, zeigt uns, daß Gottes Vorherbestimmung sich nicht unabhängig von der Entscheidung des Menschen vollzieht. Vgl. z. B. Offb 13, 8
mit Offb 3, 5. Für unser begrenztes, menschliches Verständnis ist deshalb die Tatsache des «Vorher-Wissens» oder des «Vorher-Sehens» = Vorsehung Gottes besser zu fassen.
5. Die vorlaufende GnadeDa die Verlorenheit des Menschen abgrundtief ist (vgl. Eph 2,1.5; 2mal «tot in Übertretungen»), kommt uns die suchende Liebe Gottes entgegen (vgl. das
2 Prädestination = Vorherbestimmung zum Heil.
3 Vgl. Institutio III, 21, 5.
4 Heils-Determinismus = Heilszwang.
5 Dekret Gottes = göttliche Verfügung, Verordnung.
Gleichnis vom verlorenen Schaf und vom verlorenen Groschen, Lk 15,1 -10); vgl. z. B. Apg 16,14 von Lydia in Philippi: «Dieser tat der Herr das Herz auf, daß sie achthaben konnte auf das, was von Paulus gesprochen
wurde.» Vgl. ferner die sehr wichtige Stelle in Joh 6,44.65. Diese vorlaufende Gnade wurde schon von Augustin erkannt. Der vorlaufenden Gnade folgt die «voluntas subsequens» (der nachfolgende Wille) des Menschen. Auf das Gleichnis des verlorenen Sohnes übertragen würde das heißen: Die vorlaufende Gnade geht dem Verlorenen nach und führt ihn zur Selbsterkenntnis. Hätte der zum Schweinehirten degradierte und versklavte
Sohn sich diesem «Gnadenzug» verschlossen, dann hätte nie eine innere Einkehr, Umkehr und Heimkehr stattgefunden (vgl. Lk 15,18ff.).
6. Die GnadenwahlIn den Zusammenhang der Erwählung zum ewigen Leben gehört der Hinweis auf die Gnadenwahl. Niemand und nichts hätte Gott zwingen können, uns -von Natur - verlorene Menschen zu retten. Sein Erlösungsplan und der Heilsvollzug in Kreuz und Auferstehung Jesu verbinden sich zum größten Liebesangebot; dieses ist freiwilliges, unfaßbar großes Geschenk: Es ist Gnade.
- Vgl. die Gnadenwahl Israels: Dtn 7, 7.8a
- Vgl. die Gnadenwahl im Neuen Testament durch Christus für Juden und Heiden: Eph 2, 8.9 u. a. m.
7. Erwählung und persönliche Verantwortung des Menschena) Erwählung und Berufung (identisch):
2. Petr 1,10: «Darum, liebe Brüder, befleißiget euch, eure Berufung und Erwählung festzumachen. Denn wenn ihr dies tut, werdet ihr nicht straucheln.» Vgl. ferner: Offb 17,14b; Lk 6,13 u. a.
b) Berufung als Aktualisierung des göttlichen Ratschlusses:
2. Tim 1,9: «Er hat uns gerettet und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem Ratschluß und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt.» Vgl.
ferner: Hebr 3,1; 2. Thess 2,14
c) Berufene (Gerufene) nehmen den Ruf (die Einladung) Gottes an und sind Erwählte:
Mt 22,14: «Denn viele sind Berufene, wenige aber sind Auserwählte.» Der Theologe Donald Guthrie6 sagt mit Recht, daß die Erwählten diejenigen sind, die die Einladung auch wirklich annehmen bzw. angenommen haben.
d) Gott verfügt nicht über den Menschen; er handelt aber auch nicht ohne den Menschen:
1. Kor 15,10: «Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und seine Gnade ist nicht vergeblich gewesen an mir.»
Vgl. ferner Röm 1, 6.7
- Vorsehung Gottes und des Menschen Verantwortung: vgl. z. B. Apg 27, 24.31
6 D. Guthrie, in: NT-Theologie, ivp, Leicester GB 1981.
- Berufung Gottes und der Wille des Menschen: Mt 22, 3 «... sie wollten nicht kommen». Mt 23, 37 «... ihr habt
nicht gewollt». Joh 5, 40 «aber ihr wollt nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben hättet». Joh 1,12 «Wie viele
ihn aber aufnahmen, denen gab er Vollmacht, Gottes Kinder zu werden, denen die an seinen Namen glauben.»
e) Erwählte sind Gläubige:
1. Thess 1, 4ff.; Tit 1,1; Röm 8, 33; u. a. m.
f) Die Gläubigen werden erst nach der Annahme des Heils als Auserwählte bezeichnet:
1. Thess 1, 4.5 «Liebe Brüder, von Gott geliebt, wir wissen, daß ihr erwählt seid; (5:) denn unsere Predigt des
Evangeliums kam zu euch ...». Vgl. V. 6-10
g) Das Ziel der Erwählung ist die Umgestaltung ins Bild Jesu Christi: Röm 8, 29. Achtung: Erwählung ist eine ganz entscheidende Etappe zum ewigen Ziel; aber die Erwählung ist nicht schon die Vollendung!
h) Erwählung und Nachfolge:
Die Erwählten (1. Thess 1, 4) brauchen noch dringend die gegenseitige Ermahnung (1. Thess 5,9.11), die lehrmäßige Festigung (2. Thess 2,13.15), wachstümliche Heiligung (1. Thess 4, 3.7; 5, 23), ein würdiges
Verhalten (Eph 4,1-6; Kol 3,12-14) und das Festmachen der Erwählung (2. Petr 1, 9-11). Noch ist das Ziel nicht erreicht (Phil 3,13.14). Der Glaubenskampf ist mit der Hilfe des Herrn zu bestehen (2. Tim 2,10; 1. Petr 5, 8.9; 1. Kor 9, 24-27).
8. Gott bewahrt die Gläubigen
- Das Ziel wird uns bewahrt: 1. Petr 1, 4; 2. Tim 1,12
- Gott bewahrt uns selber: 2. Thess 3, 3; 1. Petr 1, 5; Joh 10, 28; Phil 4, 7; Jud24; Offb3,10
- Gott stärkt die Gläubigen: 2. Thess 2,16.17; 3, 3; 1. Petr 5,10; Kol 1,11; Hebr 13, 21
- Gott reinigt und heiligt uns: Joh 15, 2; 1. Joh 1, 7; Joh 17,17; Eph 5, 26.27; 1. Thess 5, 23
- Jesu bewahrender Gebets- und Fürsprecherdienst: Joh 17,11.15; Röm 8, 34; 1. Joh 2,1; Hebr 7, 25
- Der Herr läßt die Gläubigen nicht allein (Joh 14,16-18). Er bewahrt, stärkt, reinigt und führt ans Ziel.
9. Die Vollendunga) Zusicherung der Vollendung
- Durch den Glauben an Jesus sind wir Kinder und Erben Gottes: Röm 8,17; Gal 4, 7; Tit 3, 7; Jak 2, 5
- Den Wiedergeborenen ist der Heilige Geist als «Angeld» (Pfand) geschenkt: Eph 1,14; 2. Kor 1,22; 5, 5
b) Gottes vollendendes Handeln Gottes Treue: 2. Thess 2,13-17
- Gottes Treue in der Versuchung: 1. Kor 10,13; 2. Thess 3, 3
- Gottes Treue in der Vergebung: 1. Joh 1, 7b.9; 2,1.2
- Gottes Treue in der Bewahrung bis ans Ende: 1. Kor 1, 8.9; 1. Thess 5, 23 Von Gottes Seite her ist das
sichere Geführtwerden bis zum Ziel garantiert: Hebr 10,14; 12,2; Phil 1,6
c) Aber nicht ohne Hinweis auf die persönliche Verantwortung!
Allerdings tritt oft gerade im Zusammenhang mit Vollendungsverheißungen ein deutlicher Hinweis auf die
persönliche Verantwortung des Gläubigen zutage:
Gottes Zusage und Treue: persönliche Verantwortung:Phil. 1,6 Phil. 1,27
Phil. 2,13 Phil. 2,12
1. Kor. 1,8.9 1. Kor. 1,10a und alle Ermah-
nungen im 1. Korinthterbrief
Hebr. 12,2 Hebr. 12,1-17
Eph. 1 - 3 Eph. 4 - 6
10. Stellen, die scheinbar von der Unverlierbarkeit des ewigen Lebens sprechen- Röm 8, 30: Nach D. Guthrie7 ist diese Stelle an Menschen gerichtet, die Jesus angenommen haben. Paulus spricht hier nicht darüber, was mit denen geschieht, die den göttlichen Erlösungsplan ablehnen. Grayston sagt
zu dieser Stelle: «Die Antwort auf die Frage, ob wir das Ziel erreichen oder nicht, ist nicht prädeterminiert.»8
- Röm 11, 29: «Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen.» Dieses Wort spricht ganz eindeutig über Gottes Plan mit dem Volk Israel und nicht über die Heilsordnung für den Christen.
- Joh 6, 37.39: «Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir; und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen. (39:) Das ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, daß ich nichts verliere von allem, was er
mir gegeben hat, sondern, daß ich's auferwecke am Jüngsten Tage.» Die große Verheißung spricht von der Treue des Herrn, die sicher zum Ziel (zur Vollendung) führt, wenn sie nicht durch menschliche Auflehnung
durchkreuzt wird!
- Stellen wie Eph 2, 5-10; Röm 6,1ff.; 8,1ff.; 1. Kor 6,11 und viele andere mehr reden vom Heilsstand des
Gläubigen in der Wiedergeburt und nicht von der Vollendung.
- Joh 14,16: «Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster (Beistand) geben, daß er bei
euch sei in Ewigkeit.» Das überwältigend Neue im Neuen Bund - seit Pfingsten - ist die Tatsache, daß der Heilige Geist im Gläubigen bleibt, wohnt und zwar für immer (so auch Jesus und sogar der Vater: Joh 14, 23;
Rom 8,10.11; Kol 1, 27; u. a. m.).
- Vgl. Röm 7, 4 mit Gal 5, 4
7 D. Guthrie, a.a.O., S. 623.
8 A.a.O., S. 623, Fn. 138.
- Joh 10, 28: Niemand - von dritter Seite - vermag uns aus Jesu Hand zu reißen! Wie wunderbar ist doch die bewahrende Macht des Herrn.
- Röm 8,38.39: Zusammenfassung der göttlichen Bewahrungsverheißungen, die bis zur Vollendung reichen;
aber auch in diesem Text ist in V. 37 das persönliche Engagement (Überwinder-Sein) angesprochen.
- Joh 5, 24: Hier ist vom Endgericht und nicht vom Preisrichterthron (2. Kor 5,10; 1.Kor3,11 ff.) die Rede.
Die Heilige Schrift zeigt folgenden Befund:Es gibt Heilsgewißheit, Heilsfreude, Gottesverheißungen und seine Allmacht, den Gläubigen bis zur Vollendung zu führen; aber es gibt nirgends eine einseitige, automatische oder selbstverständliche Heilssicherheit, die
unabhängig vom Tun und Lassen des Gläubigen (vgl. persönliche Reinigung: 2. Kor 7,1 u. a.) sicher und unabänderlich zum Ziel führt. Das Heil des Gläubigen ist allein in der Gnade Gottes begriffen, schaltet aber die
Persönlichkeit des Menschen nie aus, wie der Wechsel von Heilsindikativ9 (z. B. Röm 6,1 ff. u. a. m.) und Heilsimperativ10 (Röm 6,11ff. u. a. m.) deutlich macht. Keine der genannten Stellen bestätigt die Lehre von der
Unverlierbarkeit des Heils.
II. Kurzer Hinweis auf die Ermahnung im Neuen TestamentAuf die ermahnenden Teile der neutestamentlichen Briefe ist bereits weiter oben hingewiesen worden und zwar im Zusammenhang mit der persönlichen Verantwortung des Gläubigen.
1. Die Tatsache der Ermahnung11
Die Ermahnungen an die Gläubigen bilden ein ganz wesentliches Element des neutestamentlichen
Gemeindebaus.
- Apg 11, 23: «Als dieser (Barnabas/V. 22) dort hingekommen war (nach Antiochien/V. 22) und die Gnade
Gottes sah, wurde er froh und ermahnte sie alle, mit festem Herzen an dem Herrn zu bleiben.»
- Vgl. ferner Apg 13, 43; 14, 22; Röm 12,1ff. Eph 4,1ff.; Kol 3,1ff.; u. a. m. (vgl. Konkordanz)
- Der ganze Hebräerbrief wird vom unbekannten Verfasser als «Wort der Ermahnung» bezeichnet, Hebr 13, 22.
2. Der Inhalt der Ermahnung- Bleiben im Herrn: in Joh 15, 4-10 steht das Verb «bleiben» 11mal; vgl. ferner 1. Joh 3, 24. Besonders:
«bleiben» am Wort (Joh 8, 31; 2. Tim 3,14-17) und «bleiben» im Glauben und in der Gnade (Apg 13, 43; 14,
22; Kol 1, 23).
9 Indikativ = Wirklichkeitsform (eines Zeitwortes), mit der das tatsächlich Gegebene beschrieben wird; hier: das Gegebene, Geschenkte.
10 Imperativ = Befehlsform (eines Zeitwortes), die eine Forderung ausdrückt; hier: Forderung.
11 Der Stellenbefund im Neuen Testament nach der Computer-Konkordanz: Das häufigste Wort für «ermahnen» ist parakaleö; dieses Wort
erscheint 109mal im Neuen Testament. Das Substantiv «Ermahnung» (paraklösis) hat 29 Stellen. Das Wort «zurechtweisen» (noutheteö)
findet sich 8mal und das dazugehörige Substantiv (vou8eoia nouthesia) 3mal, wobei die Skala mit weniger gebräuchlichen Worten noch
vergrößert werden könnte; vgl. z. B. epanorthösis = Zurechtweisung in 2. Tim 3,16.
- Trennen, sich absondern und fliehen: 2. Kor 6,14-17; Hebr 12,1; 1. Kor 6,18; 2. Tim 2, 22.
- Nicht mehr lieben (die Welt): 1. Joh 2,15-17.
- Bewahren (das Wort Gottes): Offb 2, 25; 3,10; Lk 11, 28.
- Sich hüten (vor Irrlehre und Verführung): 2. Petr 3,17.
- Einhalten (die Gebote Gottes): Joh 15,10; 14, 21 u. a. m.
- Festhalten; vgl. ferner: wachen - sich umgürten - beachten - stärken - vergeben - sich reinigen - handeln -
kämpfen (vgl. Konkordanz).
Die Ermahnungen rufen dazu auf, das gewaltige Geschenk des neuen Lebens in Christus in der Praxis des
Alltags zur Anwendung zu bringen. Die stete Wachsamkeit der Gläubigen soll vertieft werden im Blick auf den
wiederkommenden Herrn (2. Tim 4, 8; Hebr 9, 28).
3. Grund für die vielen Ermahnungen
- Verschiedene Gefahren: Liebe zur Welt (1. Joh 2,15-17; Jak 4, 4), Sünde (Röm 8,13), Irrlehre (2. Joh 7),
Verfolgung (1. Thess 3, 3-5), eigene Müdigkeit und Trägheit (Hebr 12,12).
- Die Heiligkeit und das Gericht Gottes: Gal 6, 7-9 (dieses Wort ist an Gläubige gerichtet!)
- Gericht Gottes bei Fruchtlosigkeit (Joh 15, 2), bei Lauheit (Offb 3,14ff.), bei Rückfall in Sünde (Gal 5,16-21;
1. Kor 3,17) und bei Liebe zur Welt (Jak 4,4).
4. Der Herr will unseren Gehorsam12
1. Petr 1,14-18: «Als gehorsame Kinder gebt euch nicht den Begierden hin, denen ihr früher in der Zeit der
Unwissenheit dientet, (15:) sondern wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig sein in eurem
ganzen Wandel. (16:) Denn es steht geschrieben: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.» Ungehorsam,
unbereinigte Sünde und ein erneutes Verharren in der Sünde sowie innere Verhärtung sind Schritte, die zur Apostasie13 führen.
ZusammenfassungDer Christ steht in ständiger Gefahr. Die bewahrende Macht Gottes ist groß genug, um den Gläubigen zu bewahren. Deshalb wird er aufgefordert und ermahnt, bei und in Jesus und in ständiger Lebensbereinigung zu
stehen. An mindestens zwei Stellen wird der Christ persönlich aufgefordert, sich selbst zu reinigen (2. Kor 7,1 und 1. Joh 3, 3). Es wäre verkehrt, den Akzent allein auf die vom Herrn geforderte Selbstreinigung zu legen;
aber ebenso verkehrt ist die Einstellung, Wachstum, Umgestaltung und Nachfolge des Gläubigen seien die alleinige Aufgabe des Heiligen Geistes, die dieser ganz und ohne menschliches Dazutun beim Gläubigen
vollziehe.
Wohlverstanden: Es ist keine Frage, ob wir etwas zum Heil (zu unserer Erlösung) hinzutun könnten oder müßten. Dies ist gänzlich unmöglich! Hingegen zeigt uns das Neue Testament deutlich, daß bei Stellen, die das
Bleiben in Jesus, die Heiligung, das Wachstum und die Nachfolge des Wiedergeborenen betreffen, ein Zweifaches zu beachten ist:
- Heiligung (Wachstum) ist Geschenk des Herrn und wird durch den Heiligen Geist an uns und in uns vollzogen;
- aber ebenso wird Heiligung voll und ganz in den Verantwortungsbereich des Menschen gestellt14.
12 «Gehorsam» und «gehorchen»: 36mal im Neuen Testament.
13 Apostasie = der Abfall von Gott.
Gerade ein sorgfältiges Beachten dieser biblischen «Spannung» zwischen Geschenk und Verantwortung oder zwischen Indikativ9 und Imperativ10 zeigt, daß die Personalität des Gläubigen auch nach der Wiedergeburt von
Gott her voll gewahrt bleibt. Gott kann im Gläubigen nur soweit voranschreiten, wie dieser ihm sein Einverständnis dazu gibt. Wo das Wirken des Heiligen Geistes abgeblockt wird, kommt der Christ in die Lauheit und erneut in den geistlichen Tod hinein (vgl. Offb 3,1.14ff.). Wer einseitig das Wirken Gottes am Gläubigen auf Kosten der persönlichen Verantwortung betont, kann die biblische Tiefendimension der Ermahnung nicht richtig erfassen. Am Beispiel von Joh 15,4 wäre die Befehlsform «Bleibet in mir» nichts anderes als eine rhetorische
Aufforderung, da es ja ganz undenkbar wäre, daß das organisch mit dem Weinstock verwachsene Rebschoß je einmal wieder vom Weinstock abgetrennt werden könnte, aber genau das, was die Lehrmeinung der Unverlierbarkeit des Heils irrtümlicherweise für ausgeschlossen hält, zeigt der Herr als erschütternde Möglichkeit auf. Die Verse 2 und 6 lassen keinen Zweifel darüber offen, daß Wiedergeborene unter bestimmten Umständen wieder abfallen und verlorengehen können. Vgl. genauso Röm 11,17-24, wobei gerade die Römerstelle deutlich macht, daß offenbar auch für «Abgefallene» bis zu einem gewissen Grad eine Rückkehr offen steht. Diese Tatsache (Aufruf zur erneuten Umkehr) ist auch in den Sendschreiben (Offb 2 und 3) ersichtlich; aber die Heilige Schrift zeigt, daß irgendwo eine Grenze liegt, und daß, wer diese Grenze überschritten hat, nicht mehr zurückkehrt, sondern verloren ist.
Ende Teil 1